„Hey du…!?“
„Ja bitte? Meinst du mich?“
„Nein, ich meine denjenigen, der sich hinter dir versteckt, damit ich ihn nicht sehen kann…“
„Oh…“
„…! Hey du…“
„…?“
Mit sanfter Stimme beim Anblick des Verschreckten: „Hey … ist okay … ich bin da …“
„ … Was willst du denn von mir?“
„Ich will nicht etwas von dir. Ich will etwas für dich. Ich will dir helfen…“
„…“
Ein vorsichtiges „Kann es sein, dass du vor etwas wegläufst?“
Erst langes Zögern. Schließlich zaghaftes Nicken.
„Hm, das ist schon okay. Weißt du das?“
„Fühlt sich aber nicht so an…“
„Wie fühlt es sich denn an?“
„So als ob irgendetwas Schlimmes passieren würde, wenn ich nicht aufhöre wegzulaufen. Als ob ich dann bestraft werden würde in irgendeiner Form…“
„Und warum bleibst du dann nicht stehen anstatt weiter wegzulaufen?“
„Weil dann auch etwas Schlimmes passieren würde…“
„Was denn?“
„Ich weiß nicht genau…“
„Hast du Angst…?“
Stummes Nicken.
„Kannst du sagen, wovor du Angst hast?“
Erst Kopfschütteln. Ein Moment Pause. Dann zaghaftes Nicken.
Ein aufmunterndes Lächeln meinerseits.
„Ich habe Angst, dass es ganz furchtbar wird. Dass ich mich richtig schlecht fühle, wenn ich aufhöre wegzulaufen…“
„Du meinst, weil dich dann das einholt, vor dem du weggelaufen bist?“
Erneutes Nicken.
„Okay, das verstehe ich…“
„Ich habe Angst, dass ich es nicht schaffe, mich dem zu stellen… dass ich zu klein bin und zu schwach… Ich habe Angst, dass es mich mit solcher Wucht trifft, dass ich umfalle…“
„… und nicht wieder aufstehen kann?“
Nicken. Scheinbare Erleichterung darüber, dass ich anscheinend wirklich verstehe.
„Hm, alles klar… Was hältst du denn davon, wenn wir zusammen aufhören wegzulaufen und uns dem gemeinsam stellen?“
„Du und ich?“
„Ja, du und ich.“
„Passiert das dann nicht?“
„Was meinst du?“
„Na das mit dem Zu-Schwach-Sein und dem Umfallen…“
„Hm, das kann ich dir leider nicht versprechen… Es kann trotzdem passieren…“
Entsetzter Gesichtsausdruck.
„Jetzt warte doch mal. Also: Es kann trotzdem passieren, aber es ist weniger schlimm als wenn man es alleine tut. Zusammen sind wir nämlich stärker und klüger und überhaupt. Zusammen sind wir alles. Hörst du? Alles.“
Wirkt wenig überzeugt.
„… Weißt du, es ist okay, Angst zu haben. Ich habe auch manchmal Angst. Das ist nichts Schlimmes. Ich weiß, es fühlt sich manchmal nicht so angenehm an. Aber die Angst will auch nur, dass man ihr zuhört und sie nicht alleine lässt…“
„So wie ich…“
„Ja, ganz genau. So wie du. Und auch so wie ich. … Ehrlich gesagt glaube ich auch, dass es besser ist, sich den Dingen zu stellen als vor ihnen wegzulaufen. Auch wenn sie einem manchmal ganz groß und unheimlich und furchtbar vorkommen, diese Dinge… Es ist nur so: Erstens, man kann nicht ewig weglaufen. Irgendwann entstehen daraus Konsequenzen…“
„Und zweitens?“
„… Und zweitens sind diese Dinge, vor denen man wegläuft zwar manchmal im ersten Moment unangenehm, aber dann, dann bringen sie einen weiter. Man versteht etwas. Etwas wird befreit. Es kann wieder besser fließen. Es wird angenommen und integriert. Und wird so zum Teil des Großen Ganzen.“
„So wie ich und du?“
„Ja, genau, so wie wir zwei.“
„…“
–
„Okay…“
„Was ‚okay‘?“
„Okay, ich tu’s… Aber nur, wenn du mir hilfst. Weil alleine hab ich noch mehr Angst…“
Ein wohlwollendes, liebevolles Lächeln meinerseits. Ein Ich-verstehe-dich-so-gut-wie-kein-anderer-Lächeln. „Ja, ich helfe dir. Ich bin an deiner Seite…“
„Immer?“
„Ja, immer.“
Sichtbare Verlegenheit.
„Kann es losgehen?“
„Nein, warte! Ich brauche noch ein bisschen Mut…“
Geduldiges Abwarten meinerseits.
„Äh, wie war das noch mal? Wie hat dieser komische Mann mit Feder und Bart gesagt?“
„Welcher komische Mann mit Feder und Bart?“
„Na der vom Balkon. Der mit dem verrückten Prinzen…!“
„…? … Ach so, den meinst du!“
„Ja, ja! Also, wie hat er gesagt?“
„Noch einmal stürmt, noch einmal, meine lieben Freunde!“ *
Vergnügtes Quietschen.
„So süß…“, denke ich mir.
„Okay, jetzt bin ich bereit.“
„Na dann, auf geht’s…!“
* William Shakespeare: König Heinrich V., 3. Akt, 1. Szene