mond-los

Der Mond ist fort. Selbst am klarsten, wolkenlosen Nachthimmel noch suche ich nach ihm. Vergeblich.

Es ist als wäre jemand mit einer Leiter auf den Nachthimmel hochgeklettert und hätte den silberweisen Ball dort oben einfach wegradiert. Mit einem Riesenradiergummi. Weil mit einem normalgroßen hätte der oder die Unbekannte das kaum in einer Nacht geschafft. Außer natürlich die Wolken waren mitbeteiligt an der Verschwörung.
Vielleicht wurde er aber auch entführt, der Mond. Vielleicht wurde er mit Chloroform betäubt und wird nun irgendwo gefesselt und geknebelt gegen seinen Willen festgehalten. An wen wohl die Lösegeld-Forderung gehen mag?

Ich frage die Sterne nach ihm. „He, ihr da! Habt ihr den Mond gesehen?“ Keine Antwort. Oder besser gesagt: Ich kann sie nicht hören. Unheimlich. Und beängstigend.
Bisher konnte ich immer recht gut mit den Sternen kommunizieren. Sie sprechen eine uralte Sprache, die aber jedes Lebewesen im Grunde seines Herzens kennt und auch kann – man muss es nur wollen. Aber in meinem Fall ist das Wollen offensichtlich nicht mehr genug; wie ist es bitte möglich, etwas von heute auf morgen zu verlernen, dass man sein ganzes Leben lang schon kann?

Erst nach einigen Minuten fällt mir auf, dass ich zittere. Oder sind es womöglich schon Tage, Wochen, Monate? Kann es sein, dass ich mich selbst irgendwo auf dem Weg verloren habe? Und ist das der Grund, warum der Mond fort ist und die Sterne verstummt sind?
Ganz fest schlinge ich meine Arme um mich selbst. Als könnte ich mich beschützen, mich wärmen und trösten. Als könnte ich so die Kälte vertreiben. Ich gegen den Rest der Welt.

Es wird finster. Nicht nur um mich, sondern auch in mir. Eine fiese Dunkelheit ist das, die sich da ausbreitet. Auf meine Kosten natürlich.
Ich kenne sie mittlerweile recht gut, auch wenn wir uns bisher noch nicht allzu oft über den Weg gelaufen sind. Sie ist so etwas wie eine „alte Freundin“, ja, das könnte man so sagen.
Ich mag sie nicht besonders. Eigentlich mag ich sie sogar überhaupt nicht. Ständig versucht sie mir meinen Mut zu stehlen – und die Hoffnung sowieso. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist es, alles Licht zu ersticken und zu verschlucken und nur Schwärze zu hinterlassen. Schwärze und Nichts. Also nein, ich mag sie nicht. Ganz und gar nicht.

Da höre ich plötzlich ein Bimmeln. Es ist ein ganz leises, feines Geräusch, doch die Dunkelheit zuckt zusammen – und diesen kurzen Augenblick, in dem sie unkonzentriert und abgelenkt ist, nutze ich, um sie abzuschütteln.
Damit sie sich nicht sofort wieder auf mich stürzt, laufe ich los. Auf das Geräusch zu. Das Geräusch eines kleinen, goldenen Glöckchens.
Die Dunkelheit ist mir dicht auf den Fersen. Es kommt mir so vor, als könnte ich ihren Atem schon in meinem Nacken spüren. „Könnte knapp werden…“, denke ich, doch laufe entschlossen weiter. Geradeaus, nach rechts, wieder nach rechts, dann nach links. Ich biege um die nächste Ecke –
– und kann gerade noch so einem hellen Feuerball ausweichen, der auf mich zugeschossen kommt. Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie er die Dunkelheit hinter mir am Kragen packt und gnadenlos mit sich zieht – es gibt kein Entkommen mehr für sie. Ich hingegen bin gerettet.
Erst als sich die beiden ein Stück entfernt haben von mir, erkenne ich, worum es sich bei dem Feuerball tatsächlich handelt – ein Komet! Sprachlos und mit offenem Mund sehe ich ihm nach. Und kann mein Glück kaum fassen.

Ein Wispern und Flüstern ertönt. Ich sehe nach oben. Eine Sternschnuppe saust munter über den Nachthimmel. Ich weiß genau, was ich mir von ihr wünsche. Ein Geheimnis, das für immer unter uns bleiben wird – ganz so wie es vorgesehen ist. Nur so viel sei verraten: Es hat mit silberweißem Licht zu tun…

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